Broken Age: Act 1

Das „Double Fine Adventure“ wird in den Internet-Geschichtsbüchern einfach erwähnt werden müssen. Vor zwei Jahren brach es den Rekord der höchsten Einnahmen aus einer Kickstarter-Finanzierung – wie üblich ganz ohne die Möglichkeit, das Spiel vorab zu testen; oder überhaupt zu wissen, worum es geht. Die Prämisse war: „Wir machen ein Adventure, so wie früher. Gebt uns Geld!“. Über drei Millionen Dollar konnte das Produktionsstudio damit von Kleininvestoren einnehmen, aber auch nach der Kickstarter-Kampagne hat und hatte man die Möglichkeit, die Entwicklung des Spiels zu unterstützen. Deshalb kann man gar nicht mehr sagen, wie viel Geld das Studio mit dieser vagen Idee überhaupt eingenommen hat. Für die Supporter macht das auch keinen Unterschied mehr, denn vor ein paar Tagen wurde das erste Kapitel des Adventures veröffentlicht, das mittlerweile „Broken Age“ heißt. Und noch nie war es so unterhaltsam den Erfolg einer Investition auf den Prüfstand zu stellen.

Aus heutiger Sicht kommt es einem fast wie das dunkle Mittelalter vor: Vor zwei Jahren gab es keinen Markt für Adventure Games; oder wie es Tim Schafer in seinem Werbevideo ausdrückt „… these days it seems like Adventure Games are almost a lost art form. They exist in our dreams, in our memories, and Germany“. Schafer ist nicht irgendwer, sondern einer der legendären Adventureentwickler, der früher für Lucas Arts und dort an Spielen wie „Monkey Island“ und „Day of the Tentacle“ mitgearbeitet hat. Seine eigene Produktionsfirma Double Fine wirft mit „Psychonauts“ (2005) und „Brütal Legend“ (2009) zwei erfolgreiche aber auch etwas weniger mainstreamtaugliche Titel auf den Markt. Einen Markt der 2010 nicht nur keine Adventure Games mehr haben will, sondern auch ansonsten das Risiko scheut und lieber den dritten Aufguss langweiliger Einheitsware produziert und damit Milliarden macht. Brütal Legend 2 wird von EA eingestellt. Es ist aber auch die Zeit, in der sich das Internet einmal mehr wandelt und Indie-Spieleentwickler zu Millionären werden. Eine Zeit, in der Pixel-Art, Jump-n-Runs mit hohem Schwierigkeitsgrad und eben auch Adventures im alten Stil einen immer größer werdenden Teil des Gamingmarktes zurückfordern. Es ist die perfekte Zeit für Abenteurer.

Abenteuer ist dann auch das Hauptthema des entstandenen Spiels. Broken Age – und da zitiere ich jetzt den offiziellen Beschreibungstext – ist ein Point-and-Click-Adventure und erzählt die Geschichte eines Jungen und eines Mädchens, die ähnliche Leben führen. Das Mädchen wurde von ihrer Dorfgemeinde auserwählt, einem grässliches Monster geopfert zu werden, aber sie entschließt sich, zu kämpfen. Gleichzeitig verbringt der Junge ein einsames Leben auf einem Raumschiff unter der Ägide eines mütterlichen Computers, aber er möchte ausbrechen, um Abenteuer zu erleben und Gutes in der Welt zu tun. Und Abenteuer folgen.

Mancher würde vielleicht von einem kurzen Abenteuer sprechen. Denn selbst wenn man alle Dialogtexte durchgeht und sich sehr leicht in die Irre führen lässt, erwarten einen höchstens drei Stunden voller Rätsel und Abenteuer. Die Rätsel sind dabei aber kaum so anspruchsvoll wie die in meiner Erinnerung teilweise unheimlich schweren Kombinationen aus den Lucas Arts Klassikern. Bemängeln muss man, dass es nur eine Handlungsoption gibt: Klicken. Einmal muss man die Perspektive beachten und einen Sprung ins Leere wagen, indem man über ein Loch in der Wolkendecke läuft. Für eines der kniffligsten Rätsel legen die Entwickler immerhin eine böse Falle aus, in die Leute wie ich tappen, die erst mal Alles mit Allem zu kombinieren versuchen. Am längsten habe ich mit einem Geschicklichkeitsspiel verbracht, welches für den Ausgang der Handlung des ersten Aktes noch keine Relevanz hatte.

Leider fühlt es sich am Ende mehr wie ein animierter Kurzfilm an, den ich als Spieler mit Minigames im Spiel und nicht vorhandener Kombinationsgabe unnötig verkompliziert habe. Das kann aber auch daran liegen, dass die Erzählung von Broken Age einfach wundervoll stimmig ist. Da kommt es manchmal schon fast ungelegen, wenn man Rätsel lösen muss. Es ist immer eine Gratwanderung zwischen interaktivem Film und Adventure, welche hier leider vom Film gewonnen wird. Das liegt auch zum großen Teil an den zwei Geschichten die erzählt werden und dem wissen, dass sich diese irgendwann überschneiden müssen. Es liegt aber auch daran, dass die Welt wie ein Bilderbuch wirkt, in dem überraschend viel Text vorkommt. Besonders in der Geschichte des Mädchens Velouria erkennt man große Pinselstriche in den Hintergründen und Szenerien, die einem irgendwo ein bisschen das digitale des Computers nehmen und die Wirkung eines Kunstwerks geben. Es liegt auch an den Sprechern mit großem und kleinem Namen: Jack Black, Wil Wheaton, Elijah Wood zum Beispiel. Ob das eingenommene Geld hier ausgegeben wurde ist strittig. Black und viele andere Synchronsprecher haben bereits mit Schafer gearbeitet. Elijah Wood ist hingegen selbst Backer des Spiels – die wahrscheinlichste Vermutung ist, dass nur Freundschaftspreise bezahlt werden mussten.

Nein, zuletzt liegt es am Humor, dass man dieses Spiel empfehlen kann. Es ist fast so, als sei der Day of the Tentacle erst gestern gewesen. Mehr noch, es werden viel mehr Register gezogen. Wir begegnen einem Wolf, bei dessen Dialogen nie ganz klar ist, ob man jetzt lachen kann oder sich gruseln sollte. Manchmal wird es unheimlich albern, wie in der Wolkenwelt in der den Personen Buchstaben aus dem Namen genommen wurden, um diese leichter zu machen. Oder der grandiose Abschluss dieses Passage, wo ein ganz großer Gag auf einen wartet, wenn man sich die Zeit nimmt. Ein Gag der zwar bewusst macht, wie viel mehr noch möglich gewesen wäre; aber auch einer, der hoffentlich ein Hinweis darauf ist, was uns in der kommenden Episode noch erwartet. Der Abschluss der Geschichte soll noch dieses Jahr in „Act 2“ als kostenlose Zugabe veröffentlicht werden. Es bleibt nur abzuwarten, ob sich bis dahin noch jemand an dieses kleine Experiment erinnert.

Spieler, die noch nicht dabei sind und ein umfangreiches Adventure wollen, sind mit dem von Tim Schafer angesprochenen deutschen Adventure Game, der Deponia Trilogie, nämlich vermutlich besser beraten.


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